Der 8. Tag – unterwegs

Wir sind unterwegs, seit dem frühen Morgen, und wir sind etwas aufgekratzt, da wir ja durch die Straße von Gibraltar fahren. Habe ich ja schon berichtet. Wir motoren gegen den Strom, der Wind macht eine Pause. Der südlichste Punkt unserer Reise liegt vor uns, Tarifa, wir können schon Häuser und die Kaimauer erkennen.  In der Seekarte sind zwei Untiefentonnen eingezeichnet, wir sehen allerdings nur eine. Und was soll das denn da sein?  Ein Fischerzeichen? Eine Boje?  Mit Gesicht? Wir fahren näher. Da schwimmt jemand! Wir sind fassungslos, weit und breit kein Boot und das Land ist noch weit entfernt. Der Skipper fragt rufend, ob alles in Ordnung sei, mehrmals. Are you ok? Endlich eine Reaktion, er schüttelt mit dem Kopf. Reeling auf, Badeleiter runter, Rettungskragen zuwerfen und vor allem: Nicht überfahren! (Beim Üben diverser MOB – Manöver bewegt sich die ausgebrachte Boje ja nicht wirklich.) Der junge Mann greift sich den Rettungskragen und wir können ihn ans Boot ziehen. Er ist ziemlich fertig, kann sich aber noch halten. Nach einer Weile kann er sich hochziehen und ich bedeute ihm, an Bord zu kommen. Inzwischen zittert er unaufhörlich und ist apathisch. Ein großes Handtuch zum Umhängen nimmt er an, vom Wasser trinkt er nur einen winzigen Schluck. Ist noch jemand im Wasser? Ist er allein? Was macht er überhaupt im Meer? Woher kommt er? Wo will er denn hin? Keine Antwort auf unsere Fragen. Englisch, spanisch und schließlich französisch. Jetzt. Er heißt Sebastian, ist Franzose und will nach Marocco. Von Tarifa aus, schwimmend. Wir können es gar nicht glauben. Er ist ungefähr so alt wie unsere Kinder, blondgelockt, groß, er trägt eine kurze Hose und ein T-Shirt, auf dem Rücken hat er einen Stoffbeutel. Wirklich gesprächig ist er nicht, wir versuchen ihm zu erklären, dass wir auf keinen Fall nach Marocco fahren. Inzwischen funkt der Skipper intensiv mit der Hafenbehörde in Tarifa. Sie wollen mehrmals unseren Schiffsnamen buchstabiert haben und auch unsere Position. Die verändert sich allerdings zusehends, da wir zurücktreiben. Ich versuche, möglichst die Stellung zu  halten. Sebastian hat inzwischen meine Bonbondose entdeckt und guckt sie an. Ich frage, ob er Hunger hat (ich kann nur 10 französische Wörter, Hunger ist dabei), er nickt und bekommt unseren letzten Brotkanten. Jetzt endlich kommt ein großes Schlauchboot angefahren, das spanische Rote Kreuz. Die zwei Männer auf dem Boot legen seitlich an, wir müssen ihnen unsere Leinen zum Festmachen regelrecht aufzwingen, irgendwie sind sie auf so einen Fall nicht vorbereitet. Wir erklären ihnen noch einmal, dass wir den jungen Mann aus dem Wasser gerettet haben. Sebastian soll nun übersteigen. Er schüttelt mit dem Kopf und bleibt sitzen. Die Rotkreuzler legen wieder ab. Etwas panisch über diese Situation sagen wir ihnen auf englisch und spanisch, dass sie uns nicht alleine lassen sollen. Sie versichern uns, in der Nähe zu bleiben, die Polizei würde gleich kommen. Und wirklich, aus der anderen Richtung nähert sich mit hoher Geschwindigkeit ein großes Schiff der spanischen Küstenwache. Da sie aber nicht an uns anlegen können, kommt das Schlauchboot zwischen uns, die bewaffneten Herren in Uniform steigen über. Ich stelle unseren Gast vor und wir erklären noch einmal die Situation. Sie reden mit ihm spanisch, er scheint auf einmal zu verstehen und siehe da, mit der Polizei will Sebastian mitgehen. Er steigt umständlich über und alle andern gehen auch von Bord. Von uns wollen sie gar nichts weiter wissen, sie nehmen nur den internationalen Bootsschein mit, um ihn auf dem Polizeiboot zu kopieren, wir bekommen ihn nach ein paar Minuten wieder. Die Motoren heulen auf und weg sind sie. Wir fahren weiter. Eine ganze Weile brauchen wir, um wieder zu der Stelle zu kommen, an der wir ja schon waren, nach vier sm passieren wir unseren südlichsten Punkt, wir können in die Hafeneinfahrt von Tarifa blicken. Natürlich kommt just in diesem Moment eine Schnellfähre herausgefahren. Jetzt fotografieren wir. Doch wir brauchen noch viele, viele Seemeilen, um uns wieder einigermaßen zu beruhigen. Inzwischen haben wir schon etlichen Leuten unser Rettungsabenteuer erzählt,es ist ja auch schon eine kleine Weile her. Doch jetzt beim Schreiben kommt doch alles wieder hoch. Wir haben zwar einen Menschen vor dem Ertrinken gerettet, doch sind wie immer noch fassungslos, wieso es dazu kommen konnte. Von Tarifa nach Marocco schwimmen? Warum? Ohne Hilfsmittel? Einfach so? Unmöglich. Sebastian musste einen Schutzengel haben, denn wir waren das einzige Boot unterwegs, haben ihn zufällig entdeckt. Wir wissen nicht, was aus Sebastian geworden ist. Wir sind uns nicht sicher, ob er sein riesengroßes Glück begriffen hat, doch wir hoffen, dass er nicht am nächsten Tag wieder ins Wasser gegangen ist, um nach Marokko zu schwimmen.

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Eine Antwort zu Der 8. Tag – unterwegs

  1. Steffi schreibt:

    Das hoffe ich mit euch! Das liest sich ja wie ein Krimi und ich kann mir vorstellen, wie hin- und hergerissen man da ist, wenn man die Person an Bord hat und der plötzlich anders reagiert als ihr es gehofft und euch gewünscht habt.

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