Eine Abkürzung

Bei Stufe 1000 hörte ich auf zu zählen, wir waren lange noch nicht unten in der Schlucht, die App hatte also gelogen, als sie diese Wanderung vorschlug, ins Barranc del infierno. In jeder Serpentine neue Ausblicke, zweimal musste der Fluss möglichst trockenen Fußes durchquert werden, ein kurzer Tunnel, ein Wasserfall, noch mehr Serpentinen, dann endlich, das Flussbett. Kiesbett, trocken, kein Wasser mehr zu sehen. Genau auf der anderen Seite führte der Wanderweg wieder aufwärts, unendliche Kurven und Windungen und wieder über 1000 Stufen. „Dann gehen wir entlang des Flussbettes, hier ist dann ein Weg eingezeichnet, den gehen wir hoch.“ Na los. Noch machte ich mir keine Gedanken, das dieser Weg in der Karte nur gestrichelt war. Wir kletterten über Felssteine, umliefen andere und hüpften von Fels zu Fels. Oleanderbüsche überall, da konnte ich mich gut festhalten. Die Schlucht wurde immer enger, hier musste doch irgendwo der Weg sein?! Schließlich sind uns doch auch Leute entgegengekommen, mit Hund. Da, ein Steinmännchen! Hier ist der Weg! Es war zumindest etwas Wegähnliches zu sehen. Nach 10 Metern hinaufklettern wusste ich, dass ich nicht wieder zurückkäme, zu steil, um abwärts zu gehen. „Noch 25 Höhenmeter, dann wird es flacher!“ Ja, das wollte ich gerne glauben, kämpfte mich weiter nach oben. Fluchend. Das war kein Weg für Menschen! Für Ziegen vielleicht. Also für kleine Ziegen. Eher Hasen. Ich blickte nicht auf den Abgrund direkt neben dem Pfad, nur auf meine Füße. Ab und zu konnte ich mich festhalten, an Rosmarinbüschen ging das gut, Stachelginster und Eichenbüsche eigneten sich nur bedingt. Auch die vielen kleinen Palmen gaben einen eher optischen Halt. Überall Geröll, kleine lockere Steinchen oder Stolperwurzeln. Wann sind wir denn da? „Ist nicht mehr weit. Ein Drittel haben wir fast schon.“ Ich würde am liebsten hyperventilieren, wenn ich doch nur Luft bekäme! Wir befanden uns auf halber Höhe entlang der fast senkrechten Felswände der Schlucht, der weitere Weg war nur beim Laufen erkennbar, aus der Entfernung war nicht zu sehen, wie es weiterging . Diese Abkürzung entpuppte sich als große Herausforderung, hätten wir uns doch nur an die Wegweiser gehalten! Dann, endlich, endlich, kam von der gegenüberliegenden Seite der Wanderweg in Sicht, also nur noch ein Kilometerchen oder zwei durchs Gestrüpp, auf Mäuerchen und am Abgrund entlangkämpfen. Ach, war ich glücklich, den richtigen Weg erreicht zu haben. Der Rest war ein Klacks, 100 Serpentinen mit 700 Stufen nach oben (wir waren also doch nicht auf halber Höhe, eher so unten), dann noch mehrere Kilometer moderat nach oben und unten, endlich, in einem Ort ein Bierchen in einer seltsamen „Pizzeria“ und noch zwei Kilometerchen, dann waren wir wieder am Auto. Durch die Abkürzung sind wir nicht 13 Kilometer gewandert, sondern nur 9. Von den Höhenmetern ganz zu schweigen.

Eine Abkürzung ist ein Weg, auf dem man keinen trifft, den man nach dem Weg fragen könnte.

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